Viel ist zuletzt anlässlich der sogenannten “Hymnendiskussion” über Diskussionskultur, Hassposter und Klarnamen geschrieben worden. Darunter auch viel Kluges von Leuten, die sich auskennen.
Über einen Aspekt, der mich in dem Zusammenhang ärgert, habe ich aber nichts gesehen, also werde ich meine Gedanken dazu auch festhalten. Dazu muss ich ein paar Wochen in der Vergangenheit beginnen.
Ende Juni fand in Wien das Femcamp statt und sorgte im Vorfeld für unschöne Vorfälle. Den Auslöser, die Bitte der VeranstalterInnen an einen Blogger, nicht teilzunehmen, möchte ich nicht kommentieren. In Folge gab es aber heftige Angriffe auf das Organistaionsteam, nicht nur von den üblichen Verdächtigen sondern auch von einigen prominenten österreichischen Tweeps, die nicht nur Hasstweets weiterverbreiteten, sondern, darauf angesprochen, selber begannen, einzelne Personen des Organisationsteams anzugreifen. Dass einige der jungen Frauen auf Angriffe von (vorwiegend alten) Männern nicht mit Rückzug sondern ebenfalls verbaler Aggression reagierten, hat diese vermutlich überrascht und zur Eskalation beigetragen. Das ist weder eine Entschuldigung für eine der Seiten noch ein Vorwurf an die Frauen, lediglich eine Beobachtung!
Soweit so traurig. Der nächste Akt fand wegen der prominenten Beteiligten auch ausserhalb von Twitter mehr mediale Beachtung: Ein Schlagersänger, der laut eigener Aussage seit seiner Volksschulzeit nichts mehr dazugelernt hat, wird von der Frauen- und Unterrichtsministerin über den Text der Bundeshymne belehrt. Man muss das Taferl von Heinisch-Hosek nicht lustig finden, sie ist aber nicht Spaßministerin sondern Frauenministerin und als solches erwarte ich von ihr sogar eine deutliche Stellungnahme zu den Töchtern in der Hymne.
Der darauf folgende Shitstorm hat wohl nur Menschen verwundert, die in den letzten Jahren nie (im Internet) Texte zu Feminismus bzw. Reaktionen darauf gelesen haben. Was offenbar auf einen Großteil der etablierten Journalisten dieses Landes zutrifft. Also folgte selten einhellige Empörung von ganz vielen Internet ExpertInnen (also eh allen), und der etwas deplazierte Versuch von Rudi Fussi einen Teil der Schuld der Ministerin in die Schuhe zu schieben.
Das bisher Geschriebene wird der aufmerksamen LeserIn nicht neu vorkommen, ist es auch nicht. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen scheint mir bemerkenswert. Und ich meine nicht das offensichtliche “irgendwas mit Feminismus”. Es gibt ein großes Potential an Wut und Aggression, das sich gerne in Kommentaren entlädt. Ganz unabhängig vom Thema. Es gibt vermutlich kein Thema, bei dem nicht irgendjemand mit großer Leidenschaft und Betroffenheit kommentieren würde. Im konkreten Fall treffen aber zwei beliebte “Opfergruppen” zusammen: Politik und Feminismus.
Undifferenziertes Schimpfen über PolitikerInnen ist in letzter Zeit nahezu ein Volkssport geworden. Bei aller dabei (als kommunalpolitisch engagiertem Menschen auch persönlich) empfundener Ungerechtigkeit, gibt es doch nachvollziehbare Gründe für Ärger auf Regierungspolitiker. Allerdings haben sich PolitikerInnen bewusst in die Öffentlichkeit begeben und müssen daher auch Kritik und Angriffe aushalten. Das gilt aber sicher nicht für Frauen, die ihre Gedanken zu Gleichberechtigung, oder über Probleme auf dem Weg dorthin, aufschreiben und in Blogs oder Postings veröffentlichen. Immer wieder ziehen sich engagierte Frauen aus dem Internet zurück, löschen Blogs oder Accounts, weil sie sich den aggressiven Attacken und Drohungen nicht mehr aussetzen wollen. Ein Mob von “Männeraktivisten” scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, gegen exponierte Frauen vorzugehen. Die Hemmschwelle, öffentlich jemanden zu beschimpfen oder zu bedrohen, sinkt immer mehr, angestachelt durch das Gejohle der Zuschauer. Der Mechanismus ist ähnlich wie bei Belästigungen im “echten Leben” zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln. Nur eine kleine Minderheit schreitet ein um zu Helfen, ein Stück weit nachvollziehbar, wenn man liest wie mutige Menschen, die Helfen wollen, selbst Opfer von Gewalt werden. Leider passiert aber auch das Gegenteil: Applaus, Gelächter, Anfeuerung. Gerade auch im Internet. Hier scheint alles harmloser, fehlt doch der direkte körperliche Kontakt. Aber gleichzeitig ist das Publikum ein vielfaches größer und jede Beleidigung, jede Drohung und jede Demütigung sind für lange Zeit nachlesbar. Werden vielleicht sogar als “Trophäe” per Screenshot festgehalten.
Was die Opfer sowohl in der U-Bahn als auch auf Twitter brauchen, ist Solidarität. Nicht stillschweigend oder beruhigend, sondern aktiv und unmittelbar. Einschreiten, Widersprechen, Grenzen aufzeigen. (Eine exzellente Auflistung findet sich hier). Was ganz sicher nicht hilft, ist Zustimmung für die Aggressoren. Ganz besonders schadet es, wenn die Zustimmug von Prominenten und Multiplikatoren kommt.
In der österreichischen Twitteria gibt es den Begriff der “Alpha-Twitterer”. Gemeint ist damit eine, nicht ganz genau definierte, Gruppe von Meinungsmachern. Viele Follower, oft auch mit prominenten Rollen in klassischen Medien. Entweder als JournalistInnen oder als “ExpertInnen für eh alles”. Also Menschen, denen viele zuhören und deren Worte Gewicht haben. Wenn Armin Wolf öffentlich Witze über das “Awarenessteam” des Femcamps macht, diskreditiert er damit dessen Anliegen einen angstfreien Raum zu schaffen. Und das sichtbar für eine Anzahl an Followern (112 Tausend) die vermutlich in Kürze die Zahl schlechter ZiB2 Quoten übersteigt (166 Tausend). Das ist zwar weniger schlimm als das unreflektierte retweeten einer Drohung durch Peter Rabl und die Witze darüber von Rudi Fussi (dokumentiert zum Beispiel hier).
Allen gemeinsam ist aber wiederholtes Scherzen über den ihnen zugeschriebenen Alpha-Status. Gerade von Armin Wolf sollte man ein Gespür für öffentliche Aussagen erwarten können. Was er in der ZiB2 niemals tun würde, geht auf Twitter offenbar schnell von der Hand. Statt den eigenen Einfluss auf die Meinungs- und Stimmungslage auf Twitter zu reflektieren, macht man sich über jene lustig, die auf dieses Ungleichgewicht hinweisen und unsensiblen Umgang mit dieser Macht kritisieren.
Die “Scherze” im Zusammenhang mit dem Femcamp sind nicht monokausal für den Shitstorm bei Heinisch-Hosek verantworlich, aber sie waren ein weiterer Baustein um Angriffe auf feministische Aktivistinnen zu verharmlosen und den Boden für eine Eskalationsspirale zu bereiten.
Aus aktuellem Anlass würde hier noch eine Erwähnung des offenen Briefs von Feindinnen des Binnen-I passen, der meiner Meinung nach den gleichen Effekt hat, das könnte ich aber nicht ansatzweise so gut wie Anatol Stefanowitsch das Heute und schon 2011 gemacht hat.